1996 Das Moped. Erzählung
handpresse giesecke 1996
ludlowhandsatz
auflage 21 Stück
plus 5 unnumerierte E.A.
im schuber
Textbeginn:
Der Unfall, meine früheste Erinnerung an das Moped meines Vaters, passierte ungefähr in meinem achten Lebensjahr. Zum letzten Mal stieß ich auf das Moped vor einigen Monate. Nachdem ich über Jahre wieder im Dorf meiner Eltern – und damit in ihrem Umkreis – gelebt hatte, war ich dabei, meinen Haushalt aufzulösen. Ich hatte erkennen müssen, dass ich hier nicht leben konnte. In einem Winkel der Garage lehnte das Moped, verbeult, verstaubt, verwahrlost insgesamt, nicht mehr fahrtüchtig. Ich hatte es, seit ich wieder im Dorf war, nicht beachtet. Ich weiß auch nicht, wie es in meine Garage gekommen war. Mein Vater, der zunehmend eine Vorliebe für Gerümpel aller Art hatte, schleppte immer wieder alte Räder, Pumpen, Eisenstangen, Teppiche nach Hause. Man kann ja nie wissen, ob man das eine oder andere nicht doch eines Tages braucht. Ich erkläre es mir so: Einmal sind ihm die Dinge zu viel geworden, und er hat das Moped, von dem er sich noch nicht trennen wollte, zu mir in die Garage gestellt. Jetzt stand das sperrige Ding im Weg. Die Garage musste frei gemacht werden. Meine Mutter entschied, dass es zur Müll-Sammelstelle gebracht wird. Mir war diese Lösung recht.
Im November fiel mir das Moped, das ich ohne ein Gefühl, sachlich, gedankenlos, ganz dem Lauf der Dinge unterworfen, hatte wegbringen lassen, wieder ein. Das Moped, das nicht bloß irgendein Ding war, so und so viel Eisen, Blech, Gummi, Kunststoff. Das auch nicht wie ein anderes Moped war. Es war jenes Fahrzeug, mit dem ich als Siebzehnjähriger meine erste Reise unternommen hatte. Ich erinnerte mich an das Zelt, an den Koffer, an die Rückenlehne, die modische Sitzbank, mit der ich den herzförmigen Originalsitz ersetzt hatte. Moped meines Vaters, dachte ich. Wann habe ich ihn gefragt? Einmal muss ich ihn gefragt haben. Aber es war wohl selbstverständlich. Wenn ich eine Reise machen wollte und dazu das Moped brauchte, dann war da nichts weiter zu sagen. Ich erinnerte mich nicht, dass meine Eltern Angst gehabt hätten, es könnte mir etwas zustoßen. Oder Freude oder Erleichterung, nachdem ich heil wieder zurückgekommen war. Ich erinnerte mich an keine einzige Empfindung. Mein Vater hatte der Reise zugestimmt. Ohne Empfindung. Wie ich auch das Moped hatte wegschaffen lassen. Ohne Empfindung.
Wohlgemerkt, lässt Charles Dickens 1854 in Hard Times seinen Lehrer Thomas Gradgrind sprechen, was ich haben will, sind Tatsachen! Tatsachen allein sind die Dinge, die man im Leben braucht.