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Blog – Johann Kleemayr
Der Tag, an dem ich Schriftsteller wurde

1.

Dieser 6. Februar, ein Donnerstag, war ein sehr kalter Tag. Sehr kalt, aber nicht ganz anders als die Tage davor. Am Vormittag fünf Stunden Letztes-Pflichtschuljahr-Unterricht, am Nachmittag Mitarbeit am Hof der Eltern. Viel war jetzt im Winter nicht zu tun: Stroh in die Stallungen räumen, Rüben zur Fütterung vorbereiten, die Milchkannen vom Sammelplatz holen. Hans war die Arbeit am Hof gewohnt. Er führte sie sicher und zuverlässig aus. Für sein zwei Jahre jüngeres einziges Geschwister war Bauernarbeit Drecksarbeit, mit der es nichts zu tun haben wollte. Die Eltern verziehen dem `Mädi´ die aggressive Ablehnung: Die Zwölfjährige spielt schon Dame und wird einmal Lehrerin.

Ob `Hansi´ die Bauernarbeit gefiel, wurde nicht erwogen. Ein wenig patzig und unwirsch war er manchmal, das war seinem Alter geschuldet. Dass Hans Bauer werden wird, stand für alle außer Frage. Auch der Eignungstest in der Schule hatte dieses Ergebnis erbracht, das persönliche Gespräch mit dem Berufsberater weniger als eine Minute gedauert. Hans wird am eigenen Hof angelernt und endlich seinen Vater entlasten.

Und jetzt, am 6. Februar, wurde Hans Schriftsteller. Nicht Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wie John F. Kennedy. Die Chance dafür lag für Hans im hunderttausendstel oder millionstel Wahrscheinlichkeitsbereich, für den Schriftstellerberuf sah Hans eine zehnprozentige Chance. Ausdauer, Konsequenz, die Fähigkeit zu Verzicht. Darauf setzte er.

Am 6. Februar schrieb Hans das erste Kapitel seines Buchs. Er hatte sich den Namen für die Hauptfigur längst ausgedacht: Roman. Auch wie er vorgehen würde: Rahmen mit Rückblenden. Der Inhalt stand fest: Wie sich Roman aus den Fängen seines Säufer-Vaters befreit: Sieg – Niederlage – Sieg. Und der Titel: Der Träumer.

1. Kapitel von „Der Träumer“:

„Und du hast wirklich den Großteil deiner Kindheit gearbeitet, hast bis zum zehnten Lebensjahr keine Schule besucht?“
„Ja, jah-h“, seufzte der Renner, „die Zeiten haben sich geändert. Doch glaub nicht, dass sie besser geworden sind.“
Der Renner wandte sich ab.
„Genug gesprochen. Es ist Zeit, dass du nach Hause gehst.“
Der Alte stand auf und schaute Roman an. Beide glaubten in den Augen des Gegenüber eine feste Entschlossenheit lesen zu können.
„Komm, wenn es Schwierigkeiten gibt. Nicht dein Vater und nicht König Alkohol werden dich besiegen. Adieu!“
Stumm, mit einem Kopf voller wirrer Gedanken, verließ der Junge das Haus.
Im Westen war die Sonne nur mehr zu einem Viertel sichtbar. So schnell es auf dem Waldweg ging, lief Roman zurück ins Dorf.

Eine Viertelstunde später riss der Junge die Tür in sein Zuhause auf. Mutter stand in der Küche beim Abendessen-Zubereiten.
„Wo warst du denn?“ empfing sie ihn.
„Beim Renner“.
Roman ließ sich in das Sofa sinken. Noch immer sprangen seine Gedanken wild umher. Erst als er ein Glas Kakao getrunken hatte, fühlte er sich besser.
„Roman, ich wünsch dir von Herzen, dass deine Träume Wirklichkeit werden. Gute Nacht!“
Ein unbekannter Tonfall war in der Stimme der Mutter. Ihre Augen blickten wie die des Renner. Ein mattes „Danke“ brachte Roman über die Lippen und verschwand in sein Zimmer.

2.

Hans entschied am 6. Februar, dass er nicht Bauer sondern Schriftsteller wird.

„Du Bauer“, hatte ihn sein Klassenkamerad W. am Vormittag wieder angeredet. Bei jeder Gelegenheit musste er das hören: „Du Bauer“. Du Bauer, das war das Letzte, was man sein und werden konnte. Mechaniker, das war was, auch Tischler, selbst Molkereiarbeiter. Da verdiente man Geld. An Berufe wie Angestellter, Bürokraft oder gar Lehrer war nicht zu denken. Dafür kamen nur Kinder mit sehr guten schulischen Leistungen in Frage. Bauernkinder hatten da keine guten Karten.

W. hatte keine besseren Noten als Hans, trotzdem stand fest, dass er im großen Energieversorger-Unternehmen, bei dem auch sein Vater arbeitete, eine Angestellten-Karriere machen würde. Sein Vater hatte die Chancen mit ihm besprochen, ihm gezeigt, was er selber schon erreicht hatte. Es gibt keinen sichereren und lukrativeren Job.

W. war unzufrieden, dass sein beruflicher Weg alternativlos von seinem Vater vorgegeben war. Die Demütigung der Bauernkinder verschaffte ihm ein wenig Erleichterung.

Hans trafen W.s Demütigungen jedes Mal mit voller Wucht. Nach außen ließ er sich nichts anmerken. Aber in seinen Augen konnte W. lesen, dass jedes „Du Bauer“ ein Volltreffer war. Er spürte, dass er damit in die Seele des Hans traf, der sich nach Anerkennung und Wertschätzung sehnte.

An den meisten anderen Bauernkindern prallte W.s „Du Bauer“ ab. Sie waren ganz zufrieden mit ihrer Herkunft und ihren Rollen und schulische Leistungen hatten sowieso keine Priorität.

2. Kapitel von „Der Träumer“:

Der erste Schultag des Roman

Es war ein wunderbarer Septembermorgen. Im Hintergrund das Respekt einflößende Schulgebäude. Davor die Mütter der Schulanfänger, die um die Wette redeten. Die eine schien mehr, die andere es besser zu wissen.

„Ja“, tönte eine Stimme von Frau Berger, „der Pepi kann schon alles lesen. Kürzlich hat er mir eine ganze Seite aus einem Märchenbuch vorgelesen.“
„Aber sagen Sie mal“, ätzte eine andere, „muss er da überhaupt noch in die Schule?“
Die Umstehenden schauten verlegen weg, niemand wollte es sich mit der Frau des Fabrikanten vertun.

Die Mütter – die Väter fehlten – hatten sich in Gruppen zusammengetan und erst als der Schuldiener die hohen Türflügel öffnete, beruhigte sich die Menge. In der Garderobe wurde den Kleinsten emsig geholfen, die Größeren wiederholten bereits die Späße der vergangen Jahre. Bis der Schuldiener zum ersten Mal am Glockenstrang zog. Jetzt eilten alle in die Klassen. Es dauerte, bis alle ihr Zimmer und ihren Platz gefunden hatten. Nur die erste Klasse war leicht zu finden: Eine große Eins neben der Garderobe ließ keine Zweifel aufkommen, dass hier die Anfänger untergebracht waren.

Es wurde still im Raum, als der Herr Lehrer die Klasse betrat und zum Katheder schritt. Er würdigte die Kinder keines Blickes, auch nicht die Mütter, die hinter ihren Kindern standen, um die erste Schulstunde ihrer Sprösslinge mitzuerleben. „Ein netter Lehrer“, flüsterte eine der Frauen und weil es jetzt so still im Raum war, drangen diese Worte bis zum Lehrer.
Er blickte unwillkürlich für einen Moment auf. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Liebe Kinder, liebe Eltern“, begann er zu sprechen, „ich freue mich, euch in den nächsten Monaten in Lesen und Schreiben unterrichten zu dürfen. Freut ihr euch auch?“
Eine bleierne Stille trat ein, und erst als einige Mütter ihre Kinder aufforderten, mit „Ja“ zu rufen, schallte das Wort in den Raum.

Der Lehrer schlug das Klassenbuch auf und begann die Namen der Kinder aufzurufen, um sie auf seiner Liste abzuhaken.
Einer der Namen war Deutschmann, Roman Deutschmann.
Schallendes Gelächter entstand, als dieser bei der Nennung seines Namens anstatt aufzustehen mit seinem Nachbarn zu reden anfing.
Der Lehrer kommentierte, er werde diesem Schüchternen schon das Aufstehen noch beibringen.

Roman überstand seinen ersten Schultag. Und bald war die Schule Alltag. Ein Tag glich dem anderen, nichts beschwerte, nichts bedrückte das Herz des Jungen. Viele Jahre lang.